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Kinderschutz braucht klare Strukturen – Im Gespräch mit Katja Werner vom Mobilen Schulungsteam Kinderschutz

Wie können Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen bestmöglich geschützt werden – und was brauchen Fachkräfte, um dieser Verantwortung gerecht zu werden? Seit 2018 ist das Mobile Schulungsteam Kinderschutz (MSK) in ganz Berlin unterwegs, um Mitarbeitende zu qualifizieren, Strukturen zu stärken und Kinderrechte im Alltag zu verankern. Im Gespräch berichtet Projektkoordinatorin Katja Werner über die besonderen Herausforderungen, warum Kinderschutz immer eine gemeinsame Aufgabe ist – und welche Veränderungen es braucht, damit Kinder sicher und selbstbestimmt aufwachsen können.

Frau Werner, Sie arbeiten beim Mobilen Schulungsteam Kinderschutz. Wer ist das Mobile Schulungsteam Kinderschutz und was ist Ihr Auftrag?

    Das Mobile Schulungsteam Kinderschutz (MSK) stärkt als Bestandteil des Berliner Netzwerkes Kinderschutz flächendeckend den Kinderschutz in den landeseigenen Unterkünften für Geflüchtete, Asylsuchende sowie andere vom Land zugewiesene Personen. In Trägerschaft von Wildwasser Berlin e.V. schulen wir seit 2018 im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, in enger Kooperation mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), sukzessive alle Mitarbeitenden der Unterkünfte im Land Berlin zum Kinderschutz. Dieser Auftrag hat sich mittlerweile erweitert. Seit 2022 schulen wir auch die Mitarbeitenden im Ukrainischen Ankunftszentrum Tegel, sowie Mitarbeitende in Erstaufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Neben Kinderschutzschulungen für Mitarbeitende haben Unterkünfte die Möglichkeit uns für Reflexionstreffen zum Kinderschutz zu sich einzuladen, sobald der Großteil des Teams geschult wurde. Die Treffen können genutzt werden, um einrichtungsspezifische Herausforderungen zu besprechen und sich weitere Ziele im Kinderschutz zu setzen. Aktuell sind wir in unserem Team sieben Kolleginnen und sehr interdisziplinär aufgestellt. So können wir Kinderschutz, aber auch die speziellen Arbeitsherausforderungen in Unterkünften aus den Perspektiven der Sozialen Arbeit, Psychologie und Interkulturellen Bildung beleuchten.

    Welche Bedeutung hat die Trägerschaft von Wildwasser Berlin e.V. für ihre Arbeit und was zeichnet Ihr Projekt darüber hinaus aus?

      Wildwasser Berlin ist eine Arbeitsgemeinschaft gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen*. Unsere Angebote richten sich an Mädchen* und an erwachsene Frauen*, die als Mädchen* oder Jugendliche sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, Angehörige und unterstützende Personen. Wir arbeiten auf der Grundlage eines feministischen Konzepts, das durch einen intersektionalen Blick ergänzt wird. Für unsere Arbeit als MSK bedeutet diese Grundausrichtung, dass wir in unseren Schulungen unter anderem einen inhaltlichen Fokus auf die Themenbereiche der sexualisierten Gewalt und des Institutionellen Kinderschutzes legen. Darüber hinaus ist für uns die Erarbeitung einer migrationssensiblen und machtkritischen Perspektive mit den Teilnehmenden zentral.

      Wir verstehen Kinderschutz als eine gemeinsame Aufgabe aller Erwachsenen, weshalb auch alle Berufsgruppen in den Unterkünften dafür verantwortlich sind, dieses Thema im Blick zu haben. Daraus ergibt sich für unser Projekt die Besonderheit, dass unsere Schulungen berlinweit verpflichtend für alle Mitarbeitende in Unterkünften sind. Wir schulen also neben dem Sozialen Dienst und den Leitungskräften auch die Mitarbeitenden des Technischen Personals, der Verwaltung und des Sicherheitsdienstes. Die Schulungsinhalte sind dabei in Umfang und Inhalt an die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Kinderschutz und an die spezifischen Arbeitssituationen der einzelnen Gruppen angepasst. So besteht für alle Mitarbeitenden die Möglichkeit sich einrichtungsübergreifend zu vernetzen und über Herausforderungen aber auch Erfolgsbeispiele auszutauschen.

      Sie beschreiben Kinderschutz als gemeinsame Aufgabe aller Mitarbeitenden. Welches Verständnis von Kinderschutz liegt Ihrer Arbeit zu Grunde? Und welche Verantwortlichkeiten kann z.B. der Sicherheitsdienst darin haben?

        Unsere Grundlage ist eine sehr breite Definition von Kinderschutz. Zunächst gibt es rechtliche Grundlagen, die den Kinderschutz definieren. Der Staat hat durch die Institution des Jugendamtes die Aufgabe über den Kinderschutz zu wachen. Bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung muss diese Institution also tätig werden. Gleichzeitig ist es staatliche Verantwortung Kinderrechte umzusetzen und Strukturen im Kinderschutz gesetzlich zu verankern und stärken.

        Inhaltlich unterscheiden wir in drei Säulen von Kinderschutz, die wir auch so in den Schulungen thematisieren. Zunächst gehört dazu die Säule des Gewaltschutzes. Kinder müssen vor allen Formen von Gewalt geschützt werden. Wir fokussieren uns dabei in den Schulungen auf die Gewaltformen, die auch beim Jugendamt erfasst werden, also auf körperliche, seelische, sexualisierte Gewalt und Vernachlässigung. Kinder und Jugendliche können auch unter anderen Formen von Gewalt leiden, diese Auswahl hilft aber grundlegende Dynamiken bei Gewalt in der Familie zu verdeutlichen. Entscheidend ist für uns dabei auch einen Blick auf die Machtasymmetrie zwischen Erwachsenen und Kindern zu richten. Erwachsene haben immer mehr Macht als Kinder und wenn diese ausgenutzt wird, kann Gewalt entstehen. Darüber hinaus bedeutet Kinderschutz aber auch Kinder zu stärken. Im Rahmen dieser zweiten Säule sprechen wir mit den Teilnehmenden über die Förderung des Selbstbewusstseins von Kindern und Jugendlichen, aber auch über das Wahren von Grenzen gegenüber Kindern. Es ist wichtig, dass Kinder schon von klein auf lernen, dass sie Grenzen haben und „Nein“ sagen dürfen. Es ist Aufgabe der Erwachsenen diese Grenzen zu respektieren. Auch so können wir Kinder und Jugendliche darin bestärken Grenzüberschreitungen und Übergriffe zu erkennen und sich Hilfe zu holen. Besonders wichtig ist uns hier auch das Einhalten und Vermitteln der Kinderrechte. Kinder und Jugendliche müssen ihre Rechte kennen, um diese auch einfordern zu können.

        Vervollständigt werden diese zentralen Inhalte durch die dritte Säule. Besonders in Institutionen braucht es Strukturen für Kinder und Jugendliche. Gewalterfahrungen, die Kinder und Jugendliche in der Vergangenheit und Heute in Einrichtungen wie Heimen, Schulen, Sportvereinen machen mussten und müssen, zeigen deutlich, dass es Beteiligungs- und Beschwerdestrukturen braucht. Nur wenn dies gegeben ist, haben Kinder und Jugendliche bei Gewalterfahrungen oder Grenzüberschreitungen durch Gleichaltrige, Eltern, (fremde) Erwachsene oder Fachkräfte die Möglichkeit sich anzuvertrauen und Hilfe zu holen. Darum ist für uns in den Schulungen mit allen Berufsgruppen auch das Thema Institutioneller Kinderschutz sehr wichtig. Darin geht es um die Frage, wie die Unterkünfte Kinder und Jugendliche gut vor Grenzüberschreitungen und Gewalt durch Mitarbeitende schützen können. Wir sprechen also über Schutzkonzepte und besonders über die zentrale Rolle von Verhaltenskodizes.

        Sie sprachen als Beispiel die Verantwortlichkeiten des Sicherheitsdienstes an. Die Aufgabe des Sicherheitsdienstes in einer Unterkunft ist es auf der einen Seite die Bewohnenden zu schützen und Konflikte zu lösen. Gleichzeitig müssen die Mitarbeitenden aber auch Regeln kontrollieren und durchsetzen. Zum Teil können sie bei diesen Aufgaben auch nicht auf die Unterstützung des Sozialen Dienstes zurückgreifen, weil es Zeiten gibt, in denen sie die einzigen Mitarbeitenden in den Unterkünften sind. Daraus ergibt sich nicht nur große Verantwortung, sondern auch eine Machtposition, die im schlechtesten Fall ausgenutzt werden kann. Ein Verhaltenskodex mit klaren Regeln zum Umgang mit Bewohnenden kann hier auf mehreren Ebenen Sicherheit und Schutz bieten. Zum einen haben Mitarbeitende klare Vorgaben, die ihnen ein Gerüst für die eigene Arbeit geben (Was darf ich? Was darf ich nicht?). Darüber hinaus schützt es aber auch alle Menschen und besonders Kinder und Jugendliche vor Grenzüberschreitungen, die in den Unterkünften leben.

        Wenn es um den Schutz der Kinder und Jugendlichen innerhalb der Familie geht, wird die Verantwortung der einzelnen Berufsgruppen klar durch den „Leitfaden Kinderschutz – Wie Berliner Einrichtungen für geflüchtete Menschen gezielt handeln können“ definiert. Darin werden acht Schritte benannt, die den Umgang mit einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung regeln. Der Leitfaden bildet damit auch das Herzstück unserer Schulungen. Die Verantwortung des Sicherheitsdienstes beispielsweise liegt hier darin Auffälligkeiten und Anhaltspunkte wahrzunehmen und durch Dokumentation an den Sozialdienst weiterzugeben.

        Der „Leitfaden Kinderschutz – Wie Berliner Einrichtungen für geflüchtete Menschen gezielt handeln können“ wurde 2019 als inhaltliche Grundlage für die Qualifizierungsoffensive in Unterkünften geschaffen. Warum war es wichtig ein für Berlin einheitliches Kinderschutzverfahren in Einrichtungen für geflüchtete Menschen zu etablieren?

          Die Unterbringungsstrukturen für geflüchtete Menschen in Berlin müssen sich immer wieder neuen Gegebenheiten anpassen. Große Fluchtbewegungen bedeuten, dass in einem kurzen Zeitraum viele Menschen untergebracht werden müssen. Lange gab es für die Unterbringung keine Standards, wie wir sie beispielsweise aus der Jugendhilfe oder der Pflege kennen. Das bedeutete, dass es auch zu prekären Unterbringungssituationen in Turnhallen oder alten Kaufhäusern kam und nur wenige Fachkräfte vor Ort die Menschen versorgten. Daraus entstanden oft unübersichtliche Situationen, in denen auch der Kinderschutz nicht gewährleistet werden konnte.

          Eine Kooperation zwischen dem Senat für Bildung, Jugend und Familie und dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten sollte schließlich dazu führen, dass berlinweit einheitliche verbindliche Standards etabliert und in den Betreiberverträgen festgehalten werden. Dazu gehörte zum einen ein geeignetes Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren, das Vorlegen eines erweiterten Führungszeugnisses für alle haupt- und ehrenamtlichen Personen, das Einrichten von Kinderräumen, die Ernennung einer Kindeswohlbeauftragten, ein Interventionsplan bei Gewaltvorfällen, aber auch die Weiterqualifizierung des Personals durch Schulungen zu verschiedenen Themen.

          Um die Handlungssicherheit des Personals zu stärken, wurde in diesem Rahmen auch gemeinsam mit anderen freien Trägern ein Handlungsleitfaden entwickelt, der in acht Schritten Orientierung geben soll, was bei dem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung zu tun ist. Da es in diesen acht Schritten um weit mehr geht als um das Abarbeiten einer Checkliste, wurde die Notwendigkeit einer Kinderschutzschulung zu diesem Thema schnell deutlich. Daraus ist unser Projekt mit dem Schulungsauftrag der Unterkünfte entstanden. Wir lenken den Blick dabei auch intensiv auf die Bedeutung der Lebensumstände, in denen viele geflüchtete Familien leben, wenn es darum geht, Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung zu definieren und Hürden im Hilfesystem abzubauen. Zudem sehen wir es als unsere Aufgabe, die eigenen Werte und damit einhergehende Wahrnehmung von Erziehung auf den Prüfstand zu stellen und zu hinterfragen. Darin spielen Eltern- und Kinderrechte eine zentrale Rolle. Damit wollen wir eine machtsensible Grundhaltung mit den Fachkräften erarbeiten, welche elementar ist, wenn wir auf Familien und deren Lebensgestaltung schauen. Wichtig ist auch: Im Kinderschutz geht es nie um Bestrafung, sondern immer darum, die Situation eines Kindes zu verbessern. Dafür braucht es einen unvoreingenommenen, wertschätzenden und ressourcenorientierten Blick. Gerade in unseren dreitägigen Schulungen mit dem Sozialdienst – also mit Sozialarbeitenden, Sozialbetreuenden, Kinderbetreuung, Psycholog*innen und Ehrenamtskoordination – schauen wir deshalb auch auf die Themen Gesprächsführung und Möglichkeiten im Hilfesystem und das Kinderschutzverfahren im Jugendamt. So soll allen Mitarbeitenden Handlungssicherheit gegeben und Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Durch diese Weiterqualifizierung aller Mitarbeitenden und den weiteren entwickelten Standards, sollte es perspektivisch keinen Unterschied machen, in welcher Einrichtung ein Kind oder eine jugendliche Person untergebracht ist. Allen soll der gleiche Schutz zuteilwerden.

          Welche Herausforderungen im Kinderschutz sehen Sie, wenn wir auf geflüchtete Familien schauen, die in Unterkünften leben?

            Geflüchtete Familien, die hier ankommen, bringen sehr unterschiedliche Belastungen und Erfahrungen mit sich. Die Ursachen für ihre Flucht, wie zum Beispiel Krieg im Herkunftsland, sowie die Flucht selbst, können traumatische Erlebnisse nach sich ziehen. Eltern und Kinder haben häufig individuelle oder strukturelle Gewalterfahrungen, bedrohliche Situationen oder den Verlust von Angehörigen erlebt. Auch die neue Situation im Ankunftsland stellt eine große Herausforderung dar, da sie oft nicht die notwendige Sicherheit und Stabilität bietet. Im Gegenteil, die Zukunftsperspektiven der Familien sind ungewiss und hängen von vielen äußeren Faktoren ab, wie der Bleibeperspektive, der Anerkennung von Qualifikationen oder der Dauer der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Diese Ungewissheit ist eine enorme Belastung. Hinzu kommen viele weitere Schwierigkeiten: Sprachliche und bürokratische Hürden, der eingeschränkte Zugang zum Gesundheitssystem und die beengte Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Familien müssen oft über längere Zeiträume in beengten Verhältnissen leben, teilen sich Sanitärbereiche und Küchen mit anderen und sind ständigem Lärm ausgesetzt. Es fehlt an Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten und durch fehlende Kita- und Schulplätze ist eine Tagesstruktur nur eingeschränkt möglich. Diese belastenden Lebensbedingungen können das Risiko erhöhen, dass Familienmitglieder psychische Erkrankungen entwickeln, aber auch dass Eltern schneller überfordert sind und weniger Ressourcen haben, um sich mit den Problemen und dem Verhalten ihrer Kinder auseinanderzusetzen.

            Für den Kinderschutz ist es daher wichtig, diese Lebensbedingungen sowie die Auswirkungen von Flucht- und Migrationserfahrungen zu berücksichtigen. Nur so können Familien ganzheitlich gesehen und umfassend unterstützt werden. Dabei muss jedoch klar sein, dass Gewalt niemals auf kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit zurückzuführen ist und stets das Wohl und die individuellen Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt stehen müssen.

            Was brauchen Unterkünfte, um Kinder gut zu schützen?

              In Unterkünften kann aufgrund der räumlichen und strukturellen Gegebenheiten der Schutz der Kinder und Jugendlichen nicht alleinige Verantwortung der Eltern sein. Wie sich andere Bewohnende verhalten oder ob die Schlösser an allen Toiletten funktionieren, liegt nicht unter der Kontrolle der Eltern. Das unterstreicht noch einmal, dass es auf institutioneller Ebene starke Strukturen braucht, die von allen Mitarbeitenden getragen werden. Ein aufmerksamer und sensibler Umgang mit Kindern und Jugendlichen kann nur gelingen, wenn es Raum für Austausch, Fehlerfreundlichkeit aber auch klare Regeln und Konsequenzen bei Regelverstößen im Team gibt. Für die Bewohnenden braucht es vielseitige Beschwerdemöglichkeiten und Ansprechpersonen, die für alle Altersstufen und unterschiedliche Voraussetzungen durchdacht sind. Ein Beispiel aus der Praxis wäre hier die Etablierung einer Kindersprechstunde, also einem festen Termin zum Beispiel einmal die Woche, an dem Kinder und Jugendliche dazu eingeladen sind mit dem Sozialdienst ins Gespräch zu gehen. In anderen Einrichtungen wurden Kinderräte gegründet oder Jugendvertreter*innen gewählt.

              Parallel dazu kann geschaut werden, wie mehr Selbstbestimmung und Privatsphäre für die Familien ermöglicht werden können. Eltern müssen in ihrer Erziehungsverantwortung ernst genommen werden und brauchen Raum für Austausch bei Ängsten und Unsicherheiten. Je nach Unterkunft können sich die Bedarfe im Kinderschutz natürlich unterscheiden. Ob es eher Elternarbeit zum Umgang mit sozialen Medien bei Jugendlichen, einen Infoabend zur Arbeit des Jugendamtes zum Abbau von Ängsten oder vielfältigere Ferienangebote für Schulkinder braucht, muss im individuellen Fall geprüft werden. Eine Möglichkeit auf Strukturen in der Unterkunft zu schauen, ist zum Beispiel die Potenzial- und Risikoanalyse. Darin werden verschiedene Strukturen einer Einrichtung in Bezug auf Kinder- und Gewaltschutz genauer beleuchtet, um eventuelle Risiken aufzudecken. So kann sich zum Beispiel angeschaut werden, welche räumlichen Gegebenheiten Potenzial für Gefahren oder Gewalt bürgen (dunkle Ecken, Sanitärbereiche etc.). Wichtig ist, dass in einer solchen Analyse möglichst viele Mitarbeitende, Bewohnende und auch Kinder und Jugendliche beteiligt werden.

              Was wünschen Sie sich für Ihre Arbeit?

                Zur Realität unserer Arbeit gehört auch, dass Fachkräfte in Unterkünften zum Teil an strukturelle Grenzen stoßen, auf die sie wenig Einfluss haben. Faktoren wie etwa höhere Personalschlüssel, erhöhte Belegungszahlen pro Unterkunft und lange Wartezeiten auf privaten Wohnraum steigern den Druck auf Familien. Zentrale Kinderrechte, wie das Recht auf Privat- und Intimsphäre oder der Schutz vor Diskriminierung werden oft schon durch bauliche Strukturen in Unterkünften verletzt. Hier ist der Staat in der Verantwortung die Lebensbedingungen für Bewohnende und die Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende in Unterkünften zu verbessern. Leider lassen aktuelle politische Entwicklungen hier eher eine weitere Verschärfung als eine dringend benötigte Entlastung vermuten.

                Um diesen Herausforderungen auch in Zukunft begegnen zu können, braucht es weiterhin qualifiziertes und geschultes Personal. In unseren Schulungen wird immer wieder zurückgemeldet, wie wichtig der Raum zur inhaltlichen Fokussierung auf den Kinderschutz und zum Austausch ist. Kinderschutz ist immer auch die Einschätzung einer Situation in einer Familie durch Fachkräfte. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, brauchen Mitarbeitende in Unterkünften weiterhin die Möglichkeit sich fortzubilden sowie Unsicherheiten und aktuelle Herausforderungen zu besprechen. Wir sehen also auch nach sechs Jahren Fortbildungsangebot, dass der Schulungsbedarf weiter hoch bleibt. Das liegt auch daran, dass Fluktuation im Personal oder Betreiberwechsel das Etablieren von Strukturen immer wieder erschweren und regelmäßig nachgesteuert werden muss.

                Gleichzeitig müssen aber auch die Lebensbedingungen der geflüchteten Menschen in Unterkünften verbessert werden. Dafür müssen Standards für die Unterbringung durch Politik in den Blick genommen und verpflichtend durchgesetzt werden.

                Zur Person: Katja Werner ist Sozialarbeiterin und Kriminologin und seit über sieben Jahren im Bereich Kinderschutz tätig. In ihrer vorherigen Tätigkeit hat sie sich für die Umsetzung der Kinderrechte auf nationaler Ebene eingesetzt. Sie ist Projektkoordinatorin im Mobilen Schulungsteam Kinderschutz. Kontakt: msk@wildwasser-berlin.de